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Autor: aherchi

Mathias Otto

ALLNÄCHTLICHES – 29. 09. – 27. 10. 2013

Der 1958 in Nürnberg geborene und ebenda an der Kunstakademie ausgebildete Maler Mathias Otto hat sich einem seit dem Barock bekannten Genre verschrieben – dem Nachtstück. Auch die Romantik liebte solche meist menschenleeren Nocturni. Mathias Otto aber malt durchaus zeitkritische Interieurs und Exterieurs unserer Epoche. Er spiegelt damit sehr elementare Gefühle, die auch den modernen Menschen nachwievor allnächtlich berühren. Dabei kann die Elektrifizierung der Nacht nicht alle Ängste vertreiben, vielmehr beleuchtet sie eine oft seelenlose Urbanität und traurige Wohnkultur, wie auch Gefühle der Einsamkeit und Sehnsucht in einer unromantischen Welt.

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Bitzigeio, Kirsch, Paltzer

Recycle – 3 KünstlerInnen aus der Eifel –

Werner Bitzigeio, Dorothea Kirsch, Kalle Paltzer – 25.08. – 22.09. 2013 –

Der Kunstverein Worms präsentiert drei KünstlerInnen, die biographisch eng mit der Eifel verbunden sind. Alle sind hier oder am Rande dieser alten Kulturlandschaft geboren und aufgewachsen, haben als junge Leute in fernen Großstädten studiert und gearbeitet und sind zum Teil wieder zurückgekehrt. Diese biografischen Parallelen sind zunächst nur eine formale Gemeinsamkeit. Jede/r nimmt selbstverständlich eine ganz individuelle Position ein und schafft ganz unterschiedliche Kunstwerke. Aber alle Drei stehen sich auch ästhetisch nahe, wie zu zeigen sein wird: Alle Drei beschäftigen sich künstlerisch mit der Natur und verwandeln industriell gefertigte Materialien in organisch anmutende Kunstwerke. Oft werden dabei – wie einst bei der italienischen Arte povera – alte Materialien verwendet: ausgediente Eisenteile, achtlos weggeworfene Papiere oder alte Nylonstrümpfe, so dass man von einem ästhetischen Recycling sprechen kann.

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    Bitzigeio                              Kirsch                                   Paltzer

Katalogtext:

Werner Bitzigeio entstammt einer italienischen Steinhauerfamilie, die es im 18. Jahrhundert in die an Steinbrüchen reiche Eifel verschlagen hat. Er jedoch hat sich dem in der Eifel ebenfalls sehr traditionsreichen Eisen zugewandt. Dabei war Draht lange sein bevorzugtes Material, das er zu linearen Zeichnungen im Raum verwickelte, verstrickte, verwebte. Während Steinskulpturen massiv und monumental sind, erscheinen Bitzigeios Eisenoder Stahlobjekte leicht und luftig, transparent. Man könnte sie als konstruktivistisch bezeichnen und dabei an einen anderen berühmten Mann aus der Eifel denken, Gustave Bönickhausen, dessen Familie einst von Marmagen in der Eifel nach Paris auswanderte und sich fortan Eiffel nannte. Doch Bitzigeio ist kein Skelettbauarchitekt oder Ingenieur und konterkariert gerne den industriellen Ursprung seines Metallmaterials. So verwendet er seit einiger Zeit neben dem Draht auch Moniereisen, das Architekten für ihre Betonbauten verwenden. Er verwandelt dieses Eisen in eine plastische Struktur, raubt ihm dabei seine funktionale Bestimmung und verwandelt das zweidimensionale Quadrat­raster in eine dreidimensionale Kugelform. So gelingt Bitzigeio eine Art Quadratur des Kreises und die Verwandlung eines banalen Baustoffes in ein schönes Kunstwerk. Kugeln und andere runde Formen dominieren dabei das Formenrepertoire des Werner Bitzigeio, womit er sich vom rationalen Rasterdenken funktionaler Konstruktionen entfernt und sich den organischen Strukturen der Natur nähert. Das gilt auch für seine massiven Kugeln aus runden oder vierkantigen Eisenrohren. Die rostrote Patina der meisten Objekte unterstreicht den natürlichen Aspekt, insbesondere dann, wenn sie direkt in der Natur präsentiert werden. Darüber hinaus erschließt Bitzigeio mit den Metamorphosen des Materials sogar zeitkritische Aspekte. Wenn er zum Beispiel Stacheldraht zu einem runden Knäuel verwickelt, recycelt er das Aggressive in etwas Ästhetisches. Noch deutlicher wird diese pazifistische Wandlung bei seinen Arbeiten mit ausgedienten Schweißdrähten, die der Künstler von einer Rüstungsfirma bezieht und in friedlich schöne Geflechte mit komplexer Stereometrie verwandelt.

Dorothea Kirsch  ist gelernte Puppenspielerin, die sich seit gut 20 Jahren ganz der bildenden Kunst verschrieben hat. Ihre ersten freien Kunstobjekte sind Mobilés, die noch deutlich eine Verwandtschaft zu Marionetten verraten. Aus ganz einfachen Materialien wie Draht, Pappmaschee oder alten Textilien gelingen ihr verblüffend naturgetreue Figurationen, die freilich keiner Theaterregie mehr folgen müssen, sondern nur noch leise und poetisch vom Wind bewegt werden. Wie Bitzigeio zeichnet auch sie in den Raum, schafft transparente Objekte und recycelt dabei gerne ausgedientes Industriematerial. Hinzu kommen Fundstücke aus der Natur, Treibholz, Äste, Knochen usw. Dem Mobilé ist Dorothea Kirsch bis heute treu geblieben, wie die neueren Arbeiten ‚Elephants‘, ‚Last Summer Queen‘ (eine riesige Libelle) oder ‚Larve‘ beweisen. Dieser zoologisch inspirierten Gruppe von Arbeiten der Dorothea Kirsch folgt eine Reihe von Werken, die eher botanische Themen aufgreifen und von der Künstlerin ‚Botanikels‘ genannt werden. Das sind Blätter (wie Ginkgo), Blüten (wie Seerosen) und Früchte (wie Schlafmohn), die in ihrem (fraktalen) Bauplan analysiert und mit Draht oder dünnen Eisenstäben in eine lineare Raumzeichnung verwandelt werden. Pappmaschee, in das zum Teil echte Blätter eingearbeitet sind, oder rostige Bleche füllen die Flächen, so dass wiederum sehr anmutige Figurationen entstehen. Koloristisch bewegen sich diese Botanikels zwischen Weiß und Dunkel sowie den rostigen Tönen Rot, Braun, Orange – eine sehr archaische Farbpalette. Alle Objekte wirken gealtert und verwittert, manchmal auch verwelkt und morbide. Doch sie sind schön und beweisen, wie man aus ganz ärmlichen Materialien im Sinne der Arte povera Kunst machen kann. Das gilt auch für viele andere Ideen, die Dorothea Kirsch in den letzten Jahren entwickelt hat, wobei ihre kinetischen Objekte (Kinetikels) hervorzuheben wären. Das sind bizarre Maschinen aus Fundstücken wie zum Beispiel einem alten Plattenspieler, der in ein surreales Karussell umgebaut wird. Kunst kann zaubern.

Kalle Paltzer hat in der Eifel eine Töpferlehre absolvert, ehe es ihn nach Köln zog. Er ist ein echter Tausendsassa, Musiker, Schauspieler, Illustrator, Grafiker und seit den 1990er Jahren bildender Künstler. Papier ist dabei sein Ausgangsmaterial, das er seit vielen Jahren auf den Straßen und Spazierwegen sammelt. Diese oft achtlos weggeworfenen Fetzen werden in sein Archiv aufgenommen , um dort auf ihr ästhetisches Recycling zu warten. Meist wird zunächst mit Pappe ein Grundgerüst gebaut, auf dass dann Pappmaschee (Pulpe) mit einem selbst entwickelten Spezialleim aufgetragen oder Papier in zahlreichen Lagen aufkaschiert wird. Beim Trocknungsprozess zieht sich das nasse Papier zusammen, lässt das darunterliegende Gerüst plastisch hervortreten und verformt schließlich die ganze Papierplastik in konkave oder konvexe Formen, ein Vorgang, den der Künstler mit Gewichten geschickt zu steuern weiß. Zweidimensionales Papier wird also in einen dreidimensionalen Körper verwandelt, den man auch als Reliefs bezeichnen könnte, der als hängendes Wandobjekt seinen Platz als Kunstwerk findet. Kalle Paltzer gelingen so echte Metamorphosen. Das industriell hergestellte Papier wird jeweils in einen elementaren Urund weichen Aggregatzustand verwandelt, so dass es neu geformt werden kann. Wie bei echtem Recyclingpapier entsteht etwas Neues aus etwas Alten, das sich freilich ganz von der industriellen Perfektion löst und dem Papier seine organische und vegetabile Natur wieder zurück gibt. Der Leim und farbige Reste im Papier selbst reagieren miteinander und erzeugen eine eigene zarte Farbigkeit. Bisweilen forciert der Künstler dieses Kolorit durch zugesetzte Pigmente. Licht und Schatten spielen über die Oberflächen, die – je nach Betrachtungswinkel – immer neue Strukturen offenbaren. Dabei können sich Assoziationen an Pergament, Haut und Adern, Rippen und knochenähnliche Strukturen einstellen. Man kann auch an verputzte Wände oder Steine denken, die bei Kalle Paltzer freilich nur eine optische Schwere und Massivität suggerieren. Und je länger man schaut, desto faszinierender wird dieses Trompe- l’oeil und die Kunst des Kalle Paltzer „mit dem Auge zu fühlen“.

Dr. Dietmar Schuth

Florin Sebastian Winkler

ABSTRAHIERTE ARCHETYPEN – 23.06. – 21.07. 2013 –

Katalogtext:

Schon 2005 zeigte der Kunstverein Worms Werke von Florin Sebastian Winkler in seiner Ausstellung „Siegfriede“. Acht Jahre später kehren seine alten Helden zusammen mit vielen neuen Werken in die Nibelungenstadt am Rhein zurück. Denn der Künstler hat diesem heroischen Epos aus sagenhafter Zeit eine echte Treue geschworen und beschäftigt sich seit vielen Jahren nahezu ausschließlich damit. Dabei bildet eine genaue philologische Kenntnis der drei überlieferten Handschriften die Grundlage eines jeden Bildes, das jeweils die betreffende Aventüre zitiert und illustriert.

Zunächst widmet Winkler den wichtigsten Hauptrollen ein eigenes Porträt: Siegfried natürlich sowie Kriemhild und Hagen. Auch Brünnhilde und Gunther erscheinen in ihren allseits bekannten Nebenrollen, sowie ein eher unberühmter Statist, der Kaplan des Königs. Weissagende Wasserfrauen hatten den nach Ungarn ziehenden Burgundern prophezeit, dass nur dieser nicht ins Verderben gezogen würde. Hagen will ihn darauf in der Hochwasser führenden Donau ertränken, doch der Kaplan überlebt durch ein Wunder und bestätigt so die Prophezeiung.

Winkler erzählt uns das in Worms wahrlich allgegenwärtige Epos auf seine ganz persönliche Weise und konzentriert sich auf Personen und Szenen, die ihn besonders interessieren. Und diese sind nicht immer die berühmtesten, so dass man das eine oder andere vermissen könnte, wenn man den Stoff zum Beispiel nur durch die Rezeption eines Richard Wagner kennt. Winkler erzählt seine eigene Geschichte, interessiert sich auch für dramatisch weniger brisante Momente wie den kleinen Zickenkrieg zwischen Kriemhild und Brünnhilde auf den Stufen des Wormser Domes oder die Lehensbeziehung zwischen Siegfried und Gunther.

Es wird deutlich, dass Winkler kein Illustrator des Nibelungenliedes sein will und auch die Chronologie der Ereignisse durchmischt. Es geht ihm nicht um ein Nacherzählen, sondern um eine Exegese des Geschriebenen. Denn die Figuren des Nibelungenliedes sind mehr als nur Teile einer fortlaufenden Handlung, sie verkörpern archetypische Charaktere und elementare Konflikte zwischen den Menschen, die auch im 3. Jahrtausend noch gelten. Hier sind es vor allem die bösartigen Seiten des Menschen, die Winkler in seinen Bildern auslotet, wie das schauderhafte Gemetzel an Etzels Hof oder die rachsüchtige Ermordung Hagens durch Kriemhild am Ende der Geschichte. Und schaut man in die Welt von heute mit ihren vielen Kriegsschauplätzen, zeigt sich wie aktuell die Bilder von Florin Sebastian Winkler sind. Immer noch schwören fragwürdige Helden ihre Waffeneide und geben sich wie vor über tausend Jahren archaischen Rachegefühlen und der Lust am Töten hin.

Betrachtet man nun die Bilder dieser Ausstellung und ihres Kataloges, wird deutlich, dass der Künstler die literarische Reduktion und Abstraktion des Nibelungenliedes auch malerisch umsetzt. Alle seine Bilder zeigen zwar menschliche Figuren mit ihren Kostümen und Requisiten, die sie als mittelalterliche Helden und Heldinnen ausweisen, doch sind alle Motive stark schematisiert. Das gilt ebenso für alle anderen Elemente, die man als Teile eines Bühnenbildes ansprechen könnte, wie Landschaft und Architektur. Darüber hinaus werden diese Schemen nicht nur in ihren Konturen abstrahiert, sondern auch farbig fraktioniert und in einfarbige Farbflächen aufgetrennt. Dies erinnert ein wenig an die Lokalfarbigkeit mittelalterlicher Fresken oder Buchmalereien, die jeder Figur meist nur eine Farbe zuordnete und diese oft ohne Schattierungen und Binnen­zeichnungen schematisch gestaltete. Man kann auch an mittelalterliche Glasmosaiken denken, die ebenfalls aus monochromen Flächen gefärbten Glases zusammen gesetzt wurden und lediglich durch Schwarzlot eine Binnenzeichnung erhielten.

Die Mosaiken des Florin Sebastian Winkler bestehen aber nicht aus transparentem Glas, sondern aus einem festen Karton, den er mit Acrylfarbe monochrom bemalt und dann mit anderen, geometrisch oft bizarren Farbkartons zusammen setzt. Dabei folgt er nur selten einer realistischen Farbgebung, sondern eher einem wirklichkeitsfremdem Kolorit, das allen Dingen wie schon im Expressionismus oder in der Pop-Art einer farblichen Verfremdung unterzieht. So verlieren sich viele figurativen Motive in einer freien und abstrakten Farbe, die ein dynamisches Eigenleben entwickelt und selbst zum expressiven Handlungsmotiv wird.

Diese ungewöhnliche und technisch sehr anspruchsvolle Technik lässt sich auch mit ganz modernen Bildwelten vergleichen, die nicht unbedingt aus der Kunstgeschichte stammen. So kann man bei der für Winkler so typischen Addition farbiger Flächen an Paint-by-Numbers-Bilder denken, wo die einzelnen Elemente ebenfalls ohne Übergänge aufeinander stoßen. Darüber hinaus werden jene farbigen Kartons von Winkler nicht plan, sondern dreidimensional zusammen gefügt. Sie werden zum Relief, verlassen die klassische Wand, greifen sogar in den Raum hinein und erinnern bisweilen an die seit einigen Jahren vermarkteten 3-D-Puzzles.

Florin Sebastian Winkler gelingt also eine Synthese ganz alter künstlerischer Techniken mit den trivialen Bildwelten unserer Zeit und schafft so eine völlig neue ästhetische Sichtweise auf einen uralten Stoff. Man erinnere sich, wie grauenhaft pathetisch das Nibelungenlied noch im 19. und 20. Jahrhundert illustriert wurde, so dass ein zeitgenössischer Künstler kaum noch anschließen kann. Doch Winkler gelingt eine sehr jugendliche Umsetzung des Themas. Schließlich sind die Helden des Mittelalters auch im Computerzeitalter des 3. Jahrtausende mit seinen digital animierten Fantasiecomics sehr populär und so alte Stories wie das Nibelungenlied noch lange nicht gestorben.

Dr. Dietmar Schuth

Markus Oeffinger

SUPERHERO – 26.05. – 15.06. 2013 –

Katalogtext:

Ursprünglich waren Helden einfach nur freie Menschen, die sich im Sozialgefüge des Mittelalters von den Unfreien abgrenzten. Die Bauern versorgten sie mit allem Lebensnotwendigen und genossen im Gegenzug den Schutz der waffentragenden Helden, die man auch Ritter nannte. Schon in der Literatur der damaligen Zeit wurden diese Ritterhelden in gewaltigen und gewalttätigen Epen verherrlicht, in denen sich sagenhafte Stoffe mit einer dichterisch stilisierten Realität verwoben. Ritterlichkeit und Heldentum wurden pauschal zu moralischen Tugenden erhoben, die sich mit der Wiederentdeckung des Mittelalters im Zeitalter der Romantik vor allem in der Kinder- und Jugendliteratur neu belebten. Noch heute sind Wörter wie Held bzw. Ritter ehrenvolle Titel, die ganz vergessen machen, dass jene freien Männer im wirklichen Leben wohl eher grausame Bauernschinder, kriegerische Mordgesellen und brutale Frauenschänder waren.

In der angelsächsischen Literatur etablierte sich im 18. Jahrhundert der Begriff des „hero“ als Bezeichnung für die Hauptperson einer Dichtung, so wie einst ein Aeneas oder Artus bis hin zu einem Tristan, Tannhäuser oder Parzival die alleinigen Hauptfiguren eines Epos oder Roman darstellten. Im deutschen Sprachgebrauch bedeutet „Held“ ebenfalls die Hauptfigur, auch wenn diese nicht unbedingt heroisch geschildert wird, wie zum Beispiel ein ‚Simplizissimus‘ oder ein ‚Eulenspiegel‘ bis hin zu den eher gebrochenen Charakteren der modernen Literatur. Vielleicht liegt in dieser kritischen Aushöhlung des Begriffs die Ursache dafür, dass man im angelsächsischen Sprachgebrauch den ‚Superhero‘ als Wort prägte, um die ursprüngliche Bedeutung wieder herzustellen. Dies gilt vor allem für die triviale Welt der Comics und Computerspiele, die alle sozialen Errungenschaften der Neuzeit vergessen haben und erneut ein archaisches und martialisches Männerbild feiern.

Markus Oeffinger hat sich für unsere Ausstellung im Kunstverein Worms also einen beziehungsreichen Titel ausgesucht. Schließlich sind in der Nibelungenstadt Worms bis heute zahlreiche Helden lebendig wie Siegfried, Hagen und natürlich auch Kriemhild. Seine eigenen, von ihm gemalten Söhne lieben scheinbar ‚Supermario‘ oder versetzen sich in ihren Computerspielen gerne in die Helden der Starwars-Triologie. Doch was interessiert einen Maler und Musiker wie Markus Oeffinger heute im 21. Jahrhundert an diesem Thema? Sorgt er sich, dass seine Söhne falsche Helden bewundern? Oder sieht er sich selbst als Superhero, denn seine Bilder erzählen fast ausschließlich von sich und seiner ganz individuellen Welterfahrung? Oder möchte er gerne ein Superman sein, der mit übernatürlichen Kräften Wunder vollbringt und mithilfe seiner Malerei überwirkliche Phantasien erobert? Ist er ein Narziss oder lässt er auch andere Superhelden gelten? Oder ist er einfach nur ein ‚hero‘ im literarischen Sinne, ein Mensch und Künstler, um den sich alles dreht?

Rhetorische Fragen muss man zum Glück nicht unbedingt beantworten. Künstler dürfen egozentrisch sein, ja sie müssen und sollen dies sogar. Man erwartet von ihnen eine nahezu heroische Individualität, denn nur hier vermutet man die Quelle für kreative Innovationen, die von der Kunstkritik und dem Kunstmarkt immer wieder verlangt werden. Schaut man zum Beispiel nach Leipzig, zeigt sich, dass heute viele international erfolgreiche Künstler das eigene Leben als Kosmos begreifen und diesen zwischen Realismus und fiktiver Phantasie romanhaft reflektieren.

Das erste Bild in diesem Katalog „Guter Abend“ von 2012 erscheint in diesem Sinne fast programmatisch. Wir sehen ein Selbstporträt des Künstlers, der in einem grünen Inkarnat erscheint, das ihn – realistisch betrachtet – in eine Art Abendlicht rückt. Das Grün lässt sich aber auch als befremdliche Fleischfarbe sehen, so dass man als moderner Mensch zum Beispiel an ‚Hulk‘ denken könnte, an einen jener amerikanischen Comicfiguren, das in einem überwirklichen Monstergrün erscheint wie im alten Abendland einst die gefürchteten Drachen. Als alter Europäer erinnert man sich darüber hinaus an das Inkarnat göttlicher Figuren in der byzantinischen Ikonenmalerei, wo Grün die göttliche und nichtmenschliche Natur der Figuren zum Ausdruck bringt.

Halb Gott, halb Monster scheint der Künstler in seinem Bild „Guter Abend“ ohne festen Boden und echten Bezugspunkt frei im Raum zu schweben. Der Hintergrund des Bildes ist wie bei einer Ikone nicht als realer Raum definiert. Einige Pinselstriche erscheinen stattdessen wie Zeitspuren, die den Bildraum in eine vierte Dimension führen. Der Künstler fällt durch Raum und Zeit. Allein das Knäuel aus purpurfarbenen Pinselstrichen scheint ihm Halt zu versprechen. Es wird zum Emblem stilisiert und zu einer Art Allegorie auf die Malerei schlechthin. Es erscheint fast wie die Taube bei der Verkündigung an Maria als überwirkliche Theophanie. Mit großer Geste öffnet sich der Held dieses Bildes jenem Symbol und erfährt so eine Art Verkündigung: Der Künstler selbst wird zum Engel Gabriel, der sich seiner Malerei selbst als Thema verkündigt, wie auch umgekehrt die Malerei als Engel ins Bild tritt, um den Künstler wie Maria mit einem Geist zu erfüllen.

Alle Bilder des Markus Oeffinger verdienen eine ausführliche Betrachtung und inspirieren zu einer hermeneutischen Analyse. Denn die meisten seiner Bilder präsentieren sich formal als eine figurative Malerei, die jedoch immer wieder den sicheren Boden der Realität verlässt und sich einer eher surrealen und symbolistischen Welt öffnet, die nach einer rationalen Traumdeutung ruft. Hinzu kommen abstrakte, rein malerische Elemente, die sich ohne erkennbaren Sinnzusammenhang in die realen oder surrealen Szenen einbinden. Häufig malt Markus Oeffinger sogar ganz abstrakte Bilder, die nichts erzählen wollen, wo die Farbe selbst in ihrer meist expressiven Schönheit zum Superhero avanciert.

Wiederum sehr programmatisch wirkt hier das zweite Bild in diesem Katalog „Molekül“ von 2013. Zu sehen ist ein mehr oder weniger einfacher Pinselstrich, der sich dem Bildtitel zufolge, als ein Baustein versteht. Typisch für die Malweise des Markus Oeffinger ist der polychrome Strich, wie ihn schon ein Karl Otto Goetz im Informell der 1950er Jahre oder später sein Schüler Gerhard Richter kultivierten. Es ist ein eigentlich unsauberer Farbstrich, der aber durch seine Schraffur plastisch anmutet. Bei dem Bild „Molekül“ bekommt dieser fast körperlich anmutende Strich sogar etwas wie einen Kopf mit Auge. Das Molekül wird zum Sperma. Farbe befruchtet, könnte man nun interpretieren.

Ein Höhepunkt der freien Farbe als freies (heldenhaftes) Individuum im Werk von Markus Oeffinger ist sicherlich die Installation „Archiv“ von 2012. Hier ist der polychrome Strich auf PVC-Streifen gemalt. Die ohnehin schon plastisch anmutenden Pinselschwünge werden als zu einem dreidimensionalen Farbenknäuel inszeniert. Die Fotos dieser Arbeit erinnern an informelle Gemälde jenes Altmeisters Goetz wie sie seit Jahrzehnten in den Museen hängen. Doch bei Oeffinger liegt das Kunstwerk auf dem Boden, ein bisschen wie der Abfall eines Raumgestalters oder wie ein Haufen geplatzter Autoreifen. Das Material PVC ist eben nicht edel, doch gerade das reizt den Künstler, die fast alchemistische Transformation von Material wie eine Wandlung von Blei in Gold.

Viele andere Werke dieser Ausstellung zeigen solch transformiertes Wegwerfmaterial als Teil einer Arte povera, die mithilfe von Farbe und der kreativen Gedankenarbeit selbst billige banale Styroporverpackungen und dergleichen in faszinierende Kunstobjekte verwandelt. Hier gelingt eine Art Wertschöpfung, wie Ökonomen sagen würden, eine Ästhetisierung unserer meist sehr unkreativen Konsumkultur. Zu diesem Konzept gehört auch die Arbeit „Fixa“, wo eine simple Transportverpackung für einen Werkzeugkoffer als Objet trouvét mit rotem Punkt an der Wand ausgestellt wird. Daneben hängt das Gemälde als Pendant: Die Wand ist hier in ein nebulöses, koloristisch sehr reizvolles Farbenspiel aufgelöst, und das Objekt selbst erscheint wie ein Bildschirm an der Wand, als ein geheimnisvolles Display in eine andere Dimension, wo rote Punkte plötzlich fliegen können.

Markus Oeffinger durchdringt seine und unsere Alltagskultur mit seiner Phantasie, die zu einer oft sehr überraschenden Ästhetisierung generiert und den leblosen Dingen neues Leben verleiht. Darin offenbart sich nicht nur der kreative Zugriff eines Künstlers, sondern auch die Kritik eines Zeitgenossen an unsere Wegwerfkultur und so oberflächlichen Wahrnehmung von Welt. Ähnliche Gedanken mögen bei dem Bild „Steak“ eine Rolle spielen. Selbst ein Vegetarier serviert Oeffinger das Stück Fleisch auf Konfetti, so als sei dieses Lebensmittel, wofür immerhin ein Lebewesen sterben musste, auch nur ein trivialer Wegwerfartikel mit limitiertem Spaßfaktor. In dem Bild „Bestäuber“ erscheint das Konfetti-Motiv erneut. Hier legt es sich als malerischer Pointilismus über eine kindliche Menschenfigur, die irgendeinen sinnlosen Spaß ausübt, und so selbst zu einem überflüssigen Wegwerfartikel wird.

Der Mensch in der Bildwelt des Markus Oeffinger erscheint also nicht unbedingt heldenhaft. Im Gegenteil, Oeffinger schildert den zeitgenössischen Menschen eher als einen Unfreien, als einfachen Lehensmann einer kapitalistischen Unkultur. Er sorgt sich als Mensch wie auch als Künstler um unsere Kultur und die Zukunft seiner und aller Kinder. Nur selten finden sich in dieser Welt echte Helden wie zum Beispiel einer der Gründer des Apple-Imperiums Steve Jobs. Er gilt als Pionier unserer modernen Computerwelt und ist der Superhero eines amerikanischen Weltbildes. Doch sein Erfolg und sein Reichtum haben seinen frühen Tod nicht verhindern können. Markus Oeffinger zitiert ihn mit dem Satz: „Ich würde all meine Technologie für einen Nachmittag mit Sokrates hergeben.“ Wie eine Ikone inszeniert der Maler das Porträt auf echtem Blattgold auf echtem PVC als einen Helden des alten Europa.

Dr. Dietmar Schuth

Michael Munding

ARCHITECTURE – 21.04. – 12.05. 2013 –

Der 1959 in Rottweil am Neckar geborene Künstler Michael Munding ist Professor an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg. Er wurde bekannt mit Bildern im Stil alter Postkarten. Diese touristischen Fotos der 60/70er Jahre werden von Munding in Öl gemalt und mit einem Hochglanzlack veredelt. Dabei reicht die Palette von der Schwarzwaldhütte über das Nürnberger Reichstagsgelände bis hin zu den klassischen Sehenswürdigkeiten Italiens. Neuere Bilder zeigen auch moderne Stadtlandschaften, die ihre Bildwürdigkeit hinterfragen. Alle Bilder beschäftigen sich letztlich mit einer geschönten Scheinrealität wie auch mit wahrnehmungsästhetischen Problemen und kritischen Gedanken über die echte Realität jenseits der Idylle.

Matthias Brock + Elizabeth Weckes

SPRING EXPLOSION – 10.03. – 07.04.2013 –

Katalogtext zu Matthias Brock | Auf Liebe und Tod

„Schläft ein Lied in allen Dingen, die da träumen fort und fort, und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.“ 1835 schrieb Joseph von Eichendorff diesen wundersamen Vierzeiler mit dem Titel ‚Wünschelrute‘, eine kleine Hymne auf die Poesie schlechthin und das viel zitierte Credo einer ganzen Epoche, der romantischen. Manche assoziieren dabei ein Wintergedicht, auf eine schlafende Natur übertragen, die einen nahen Frühling erwartet, so dass jenes Zauberwort der Weckruf der Sonne zu neuem Leben sein mag. Man kann auch ein Gedicht des Sommers lesen, der die Natur in eine heiße Lethargie und die Menschen in eine somnambule Tatenlosigkeit versetzt. Doch wie hieße dann das Zauberwort, das die Welt zum Singen zu bringen im Stande wäre? Womöglich wäre es gar kein Wort, sondern das Gegenteil, die schweigende Hingabe an die Beobachtung der Natur und ihre tausend kleiner Wunder.

Matthias Brock ist ein Maler des 21. Jahrhunderts und doch auch ein Romantiker, der sich dem Lärm der Großstadt entzieht und in der Natur die Stille sucht, um dem Lied in allen Dingen zu lauschen. Seine Welt ist die organische Natur, die er in ihrer ewigen Schönheit studiert und nicht müde wird, sie in allen Einzelheiten zu beobachten. Vor über 200 Jahren, als die Natur noch voller Wunder war und am Anfang einer naturwissenschaftlichen Erforschung stand,  hätte sich Brock vielleicht den Expeditionen eines Linné, Humboldt oder Bougainville angeschlossen, um einen Skizzenblock mit Tausend botanischen oder zoologischen Studien zu füllen. Doch Brock hat sich für die Kunst und gegen die Biologie entschieden. Letztere kümmert sich heute ohnehin nur noch um Moleküle und Chromosomen, während die Wunder der Natur – wie am Anfang der ganzen Entwicklung – wiederum den Malern und Poeten überlassen bleiben.

Die Malerei des Matthias Brock erinnert in ihrer exakten Schilderung biologischer Erscheinungen in der Tat an die Tier- und Pflanzenatlanten des 18. und 19. Jahrhunderts. Doch schon damals wäre Brock wahrscheinlich mit den Herren Linné oder Humboldt in Konflikt geraten, da seine Anschauung der Natur keine rein rationale Bestandsaufnahme darstellt, sondern den subjektiven Blick eines Künstlers verrät. Brock ist nämlich nicht nur an der Signifikanz artspezifischer Merkmale interessiert, obwohl er diese genaue Schilderung leistet, sondern mehr noch an der sinnbildhaften Schönheit der lebendigen Objekte, die er in intensiven Farben und Lichtstimmungen zur Geltung bringt. Hier lässt sich eine Nähe zur klassischen Stilllebenmalerei des 16. und 17. Jahrhunderts erkennen, die mit ihren kostbaren Blumen und exotischen Früchten eine dekorative Pracht entfalten wollte. So malt Brock wunderschön sinnliche Stillleben mit Zitronen und Melonen, Feigen und Erdbeeren oder Pflaumen und Aprikosen, oft in einer südlichen, sommerheißen Kulisse, in der die Welt mit dem Summen von Moskitos oder dem Zirpen der Zikaden zu singen anhebt.

Stillleben sind bekanntlich Sinnbilder der Vergänglichkeit allen Lebens, deshalb zeigen bereits die ersten Vertreter dieses Genres in der Kunstgeschichte wie zum Beispiel Albrecht Dürer auch verwelkte Blüten und tote Tiere. Matthias Brock steigert diesen Vanitasgedanken, indem er auch faulende Früchte malt, die seinen süß duftenden Stillleben eine herbe, alkoholische Duftnote verleihen. Und er geht noch weiter: Alle seine botanischen Sujets werden mit einer zoologischen Komponente bereichert, was in der klassischen Stilllebenmalerei höchst selten ist. Ameisen und Bienen, Schmeißfliegen, Heuschrecken und Gottesanbeterinnen, Schmetterlinge und Motten bis hin zu kleinen Eidechsen und Geckos, ja sogar Mäuse beleben seine Stillleben und machen sich über die appetitliche Nahrung her, so dass die Musik in diesen Bildern bisweilen als leises Schmatzen und Knabbern zu hören ist.

Haben traditionelle Stillleben die Vergänglichkeit allen Lebens als sentimentales oder melancholisches Gefühl nur angedeutet, führt Matthias Brock diese oft drastisch vor Augen. Er zeigt die Nahrungsketten der Natur, das Fressen und Gefressenwerden, den Kreislauf allen Lebens. In seinen Bildern mögen die Pflanzen und Früchte in ihrer Schönheit vor sich hin träumen, die Tiere darin aber sind hellwach, sind Jäger und Sammler und kämpfen um ihr Überleben. Das bedeutet, dass die Tiere nicht nur vegetarisch leben, sondern gerne auch andere tierische Gotteskinder verspeisen. So malt Brock Bilder, in denen Frösche mit ihren klebrigen Zungen Schmetterlinge und Mücken jagen, ehe sie selbst von Schlangen am Stück verschlungen werden. Hin und wieder kommt es sogar zu sehr theatralischen Konstellationen, wie in dem Bild ‚Strawberry Hill‘, worin eine Gottesanbeterin einem friedlich träumenden Schmetterling auflauert oder wie in dem Bild  ‚Candlelight Dinner‘ , worin eine Fledermaus das Licht einer brennenden Kerze für ihre hinterhältige Jagd auf Motten zu nutzen weiß. Selbst die Darstellung des Todes selbst ist Brock nicht suspekt, wie in dem Bild ‚Winterreise‘ mit einer wohl vom Menschen erlegten Gans oder in dem Bild ‚Träume‘ mit einer toten Motte am Strand, wobei der Horizont im Hintergrund fast an Caspar David Friedrichs ‚Mönch am Meer‘ erinnert.

Ja, auch die Romantik kennt sehr dunkle Bilder und Gedichte, besingt nicht nur die heitere Frühlingsatmosphäre einer sonnigen Blumenwiese. Man war sich auch vor 200 Jahren der Grausamkeit der göttlichen Schöpfung bewusst, doch hätte sich kein Maler dieser Zeit das so realistisch gezeichnet und so dramatisch inszeniert wie ein Matthias Brock. Das vielleicht grausamste, ja abst0ßendste seiner Bilder ist sicherlich ‚Gaia‘ von 2011, das sich im Titel auf die gebärende Erdmutter der antiken Mythologie bezieht. Man sieht ein fast apokalyptisches Szenario mit toten Wäldern im Hintergrund und einer Kolonie von gerade aufplatzenden Stinkmorcheln, deren Gestank sich mit dem Verwesungsgeruch einer toten Ratte vereint. Doch das Leben ernährt sich von dem Tod und kennt keine verfeinerten Tischmanieren: Ameisen ‚entsorgen‘ den stinkenden Rattenkadaver, und Schmeißfliegen lassen sich von dem nur simulierten Aasgeruch der Morchel täuschen. Neues Leben entsteht in dem Schoß der Mutter Gaia wie ein reptilisches Gezücht, das gerade geschlüpft zu sein scheint und ein junger Zitronenfalter, der jedoch gleich wieder von einer fetten Kröte geschnappt wird. Diese Kröte – so lässt sich weiter phantasieren – wird vielleicht irgendwann von einem größeren Tier verspeist, und dieses wiederum womöglich von einem Menschen, am Ende der evolutionären Nahrungspyramide.

Eine besondere und etwas makabere Liebe hat Matthias Brock in den letzten Jahren zu der Spezies der Frösche und Kröten entwickelt, die er in ihrer märchenhaften Hässlichkeit immer wieder malt. Dabei interessiert er sich nicht nur – wie gesehen – für ihr Fress- sondern auch für ihr Paarungsverhalten. So zeigt das Bild ‚Styx‘ das Liebeswerben dieser Amphibien und das Bild ‚Tiefe Nacht‘ schließlich eine sehr romantisch vom Mond beschienene Liebesnacht der Kröten, wobei diese kleine Welt nicht nur zum Singen, sondern auch zum Stöhnen anzuheben scheint. Im Bild ‚Trio‘ machen sich zwei kleine Männchen über ein großes Weibchen her, und in dem Bild ‚L’amour fou‘ scheint sich eine etwas verwirrte Kröte in eine Lotosblütenknospe verliebt zu haben. Während die Romantiker vor 200 Jahren Sexualität immer sublim verschleierten, hat Matthias Brock hier keine falschen Schamgefühle. Wie schon in dem vorher genannte Bild parodiert er diese ganz gerne wie in dem Bild ‚Complicated Love‘, wo eine weibliche  Gottesanbeterin und ihr männliches Gegenstück in einer staksigen Umarmung zu sehen sind und wie auf einem Hochzeitsfoto artig in die Kamera schauen,  wobei jedes Kind weiß, wie diese kurze Amour fou ausgehen wird.

Elizabeth Weckes English Portrait 2012

Katalogtext zu Elizabeth Weckes | Das verlorene Paradies

ist ein episches Gedicht des englischen Dichters John Milton (1667), das die biblische Paradiesgeschichte etwas literarischer erzählt als der archaische Urtext der Genesis. An der alten Story und ihrem allgemein bekannten Plot ändert er freilich nichts: Der gefallene Engel Luzifer will sich für seinen Sturz an Gott rächen, besucht die ihm bislang unbekannte Erde und findet die Menschen, die Lieblingsgeschöpfe Gottes, als leichte Beute seiner Hinterlist. Er schleicht sich in die Träume Evas und suggeriert ihr das Verlangen nach den Früchten vom Baum der Erkenntnis. Er weckt in ihr also ein sexuelles Verlangen, denn die Bibel meint mit ‚erkennen‘ stets das Erkennen von Mann und Frau, die körperliche Liebe. Satan aber wird erwischt und von Engeln wieder verjagt. Der Erzengel Raffael warnt die Menschen, doch der Satan kann sich erneut in Form einer Schlange an Eva heranmachen und seinen hypnotischen Befehl erneuern. Eva nimmt die in der Bibel botanisch nicht näher beschriebene, aber von Milton als Apfel bezeichnete Frucht, schläft mit dem verführten Adam. Beide verlieren so ihre Unschuld und werden vom Erzengel Michael aus dem Paradies vertrieben. Immerhin gewährt man Adam einen Blick in die Zukunft bis zum jüngsten Tag und Eva einen Traum, der Hoffnung macht, das verlorene Paradies eines fernen Tages wieder zu gewinnen.

Soweit die Geschichte, nun zur Frage, wie sich der Titel der Ausstellung mit Bildern von Elizabeth Weckes als stimmig und sinnvoll erweist. Einige ihrer Bilder tragen den Titel ‚Paradies‘ und zeigen meist tropische Vögel, blaue Pfauen, Kakadus, Papageien und echte Paradiesvögel, wie sie in Australien und Neuguinea heimisch sind, wo sie mit ihrem bunten und bizarren Federkleid europäische Zoologen zu einer schönen Namensgebung inspirierten. Die Künstlerin war mehrfach in Australien, auch im tropischen Norden und hat gewiss einige Exemplare dieser phantastischen Schönheiten selbst gesehen. In der Vogelwelt wird Adam bekanntlich nicht von Eva verführt, sondern Eva durch Adam, so dass die Vogelmännchen die Schönen sind und mit ihrem listigen Balzverhalten den Luzifer spielen.

Schon immer haben sich die Menschen das ihnen einst heimatliche, doch dann entzogene und irgendwann wieder zu gewinnende Paradies als eine phantastische Landschaft vorgestellt. Den Wüstenvölkern des Vorderen Orients genügte dabei bereits die Vorstellung einer grünen Oase mit Wasser im Überfluss. Die Europäer hingegen, insbesondere die Engländer, von Hause aus reichlich mit Regenwasser und grüner Vegetation vertraut, steigerten die Vision des Paradieses ins Exotische. Im Kolonialzeitalter glaubten sie es für eine kurze Zeit in den tropischen Landschaften ferner Inseln und unbekannter Kontinente wieder zu finden. Ozeanien und die Südsee gelten bis heute als irdische Paradiese. Europäischen Künstlern aber, wie etwa Max Ernst, war selbst dies noch nicht genug, so dass sie das Paradies von einer allzu realen Bodenhaftung befreiten und in einer überirdischen Phantasie neu erfanden.

Schaut man nun wieder auf die Bilder von Elizabeth Weckes, erkennt man in der Tat sehr phantastische und neu ersonnene Landschaften in einem tropischen Kolorit, das mit südlicher Sonnenkraft die Farben auf sinnliche Weise zum Leuchten bringt. Ihr Gelb ist golden und scheint ganz aus Sonnenlicht gemacht, und ihre Rottöne können wie die Sünde selbst erstrahlen. Darüber und dahinter färbt sich der Himmel oft kontrastreich in den kalten Farben Grün und Blau; er kann aber auch in ganz fremde Farben getaucht sein, die nicht von dieser Erde zu stammen scheinen. Diese Bilder entstehen jedoch nicht nach einem vorgezeichneten Disegno, sondern aus der Dynamik des Malvorgangs heraus, der sich auch der inspirierenden Energie des Zufalls bedient. Dieser Arbeitsprozess bleibt in den Pinselspuren und Kratzern sichtbar, die so den kreativen Kampf zwischen Ideal und Wirklichkeit vor Augen führen.

In diesen visionären Paradieslandschaften leben keine Menschen mehr, so doch die Vögel sind geblieben, die sich hier von den Blumen und ihren Samen und Früchten sowie von verpuppten Insekten ernähren. Diese Nahrung wird von Elizabeth Weckes in bester Stilllebenmanier sehr genau ins Bild gesetzt: Wir sehen tropische Blumen in vollster Blüte und erotischer Schönheit, die ihre organische Energie nicht nur lockend, sondern – wie in dem Bild ‚Reaktor‘ – fast aggressiv verbreiten. Daneben malt Weckes auch verwelkte und verblühte Pflanzen, die so den Kreislauf des Lebens vor Augen führen. Besonders reizvoll sind für die Malerin bizarre Samenhülsen, die gerne stark vergrößert werden und so in ihrem komplizierten Bauplan erkennbar sind: kleine göttliche Skulpturen und architektonische Wunderwerke der Natur en miniature.

Eigentlich könnten die Bilder der Elizabeth Weckes echte Paradiese darstellen und zu einem schönen, friedlichen Aufenthalt darin einladen – wenn da nicht der Mensch wäre, der die Natur des Planeten Erde seit Jahrhunderten mit seinen Bauwerken und technischen Anlagen verändert und jeden letzten Rest von Paradies in die entlegensten Gebiete der Erde verdrängt. So zeigen die Bildern die Hinterlassenschaften menschlicher Zivilisation wie zum Beispiel in Form von baufälligen Brücken, die jene Landschaften mit technoiden Skelettkonstruktionen verunstalten. Bisweilen verwandeln sich diese Brücken auch in Hochspannungsmasten, und oft öffnen sich die Straßen in absurde Abgründe. Surreale Maschinen tun hier ihre Arbeit, unterhöhlen die Erde mit einem Labyrinth von Korridoren und Schächten, wo seltsame Schaufelräder eine natürliche Ressource auszuschöpfen scheinen.

Doch solche Maschinen und Förderanlagen gibt es nicht wirklich. Auch sie sind Phantasie, die den Betrachter in eine surreale Szenerie entführen, ja fast auf einen nicht irdischen Kontinent oder gar in eine anderes Jahrtausend. Die Vögel aber, die Bewohner dieser oft apokalyptisch anmutenden Zukunftsvisionen, bleiben dabei zoologisch unverändert und werden so zu Zeugen unserer Gegenwart. Ist das die Vision, die man Adam beim Auszug aus dem Paradies gewährte? Denn es scheint, als habe der Mensch die Rache Luzifers vollendet und sich dabei an seiner eigenen Vertreibung aus dem Paradies gerächt, indem er Gott die Freude an seiner Schöpfung verdarb. Wo aber bleibt Eva, die in dem Gedicht von John Milton einen Traum der Hoffnung träumen darf, das verlorene Paradies irgendwann zurück zu gewinnen? Vielleicht sind es die Farben der Elizabeth Weckes, die darauf eine Antwort geben. Denn ihre Visionen sind nicht düster wie bei einem William Hogarth, der Miltons Gedicht einst in den dunkelsten Farben schilderte. Die Farben in den Bildern der Elizabeth Weckes sind einfach zu schön und zu sinnlich, um dem Betrachter die Hoffnung und die Lust am Leben zu nehmen.

Dr. Dietmar Schuth