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Bitzigeio, Kirsch, Paltzer

Recycle – 3 KünstlerInnen aus der Eifel –

Werner Bitzigeio, Dorothea Kirsch, Kalle Paltzer – 25.08. – 22.09. 2013 –

Der Kunstverein Worms präsentiert drei KünstlerInnen, die biographisch eng mit der Eifel verbunden sind. Alle sind hier oder am Rande dieser alten Kulturlandschaft geboren und aufgewachsen, haben als junge Leute in fernen Großstädten studiert und gearbeitet und sind zum Teil wieder zurückgekehrt. Diese biografischen Parallelen sind zunächst nur eine formale Gemeinsamkeit. Jede/r nimmt selbstverständlich eine ganz individuelle Position ein und schafft ganz unterschiedliche Kunstwerke. Aber alle Drei stehen sich auch ästhetisch nahe, wie zu zeigen sein wird: Alle Drei beschäftigen sich künstlerisch mit der Natur und verwandeln industriell gefertigte Materialien in organisch anmutende Kunstwerke. Oft werden dabei – wie einst bei der italienischen Arte povera – alte Materialien verwendet: ausgediente Eisenteile, achtlos weggeworfene Papiere oder alte Nylonstrümpfe, so dass man von einem ästhetischen Recycling sprechen kann.

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    Bitzigeio                              Kirsch                                   Paltzer

Katalogtext:

Werner Bitzigeio entstammt einer italienischen Steinhauerfamilie, die es im 18. Jahrhundert in die an Steinbrüchen reiche Eifel verschlagen hat. Er jedoch hat sich dem in der Eifel ebenfalls sehr traditionsreichen Eisen zugewandt. Dabei war Draht lange sein bevorzugtes Material, das er zu linearen Zeichnungen im Raum verwickelte, verstrickte, verwebte. Während Steinskulpturen massiv und monumental sind, erscheinen Bitzigeios Eisenoder Stahlobjekte leicht und luftig, transparent. Man könnte sie als konstruktivistisch bezeichnen und dabei an einen anderen berühmten Mann aus der Eifel denken, Gustave Bönickhausen, dessen Familie einst von Marmagen in der Eifel nach Paris auswanderte und sich fortan Eiffel nannte. Doch Bitzigeio ist kein Skelettbauarchitekt oder Ingenieur und konterkariert gerne den industriellen Ursprung seines Metallmaterials. So verwendet er seit einiger Zeit neben dem Draht auch Moniereisen, das Architekten für ihre Betonbauten verwenden. Er verwandelt dieses Eisen in eine plastische Struktur, raubt ihm dabei seine funktionale Bestimmung und verwandelt das zweidimensionale Quadrat­raster in eine dreidimensionale Kugelform. So gelingt Bitzigeio eine Art Quadratur des Kreises und die Verwandlung eines banalen Baustoffes in ein schönes Kunstwerk. Kugeln und andere runde Formen dominieren dabei das Formenrepertoire des Werner Bitzigeio, womit er sich vom rationalen Rasterdenken funktionaler Konstruktionen entfernt und sich den organischen Strukturen der Natur nähert. Das gilt auch für seine massiven Kugeln aus runden oder vierkantigen Eisenrohren. Die rostrote Patina der meisten Objekte unterstreicht den natürlichen Aspekt, insbesondere dann, wenn sie direkt in der Natur präsentiert werden. Darüber hinaus erschließt Bitzigeio mit den Metamorphosen des Materials sogar zeitkritische Aspekte. Wenn er zum Beispiel Stacheldraht zu einem runden Knäuel verwickelt, recycelt er das Aggressive in etwas Ästhetisches. Noch deutlicher wird diese pazifistische Wandlung bei seinen Arbeiten mit ausgedienten Schweißdrähten, die der Künstler von einer Rüstungsfirma bezieht und in friedlich schöne Geflechte mit komplexer Stereometrie verwandelt.

Dorothea Kirsch  ist gelernte Puppenspielerin, die sich seit gut 20 Jahren ganz der bildenden Kunst verschrieben hat. Ihre ersten freien Kunstobjekte sind Mobilés, die noch deutlich eine Verwandtschaft zu Marionetten verraten. Aus ganz einfachen Materialien wie Draht, Pappmaschee oder alten Textilien gelingen ihr verblüffend naturgetreue Figurationen, die freilich keiner Theaterregie mehr folgen müssen, sondern nur noch leise und poetisch vom Wind bewegt werden. Wie Bitzigeio zeichnet auch sie in den Raum, schafft transparente Objekte und recycelt dabei gerne ausgedientes Industriematerial. Hinzu kommen Fundstücke aus der Natur, Treibholz, Äste, Knochen usw. Dem Mobilé ist Dorothea Kirsch bis heute treu geblieben, wie die neueren Arbeiten ‚Elephants‘, ‚Last Summer Queen‘ (eine riesige Libelle) oder ‚Larve‘ beweisen. Dieser zoologisch inspirierten Gruppe von Arbeiten der Dorothea Kirsch folgt eine Reihe von Werken, die eher botanische Themen aufgreifen und von der Künstlerin ‚Botanikels‘ genannt werden. Das sind Blätter (wie Ginkgo), Blüten (wie Seerosen) und Früchte (wie Schlafmohn), die in ihrem (fraktalen) Bauplan analysiert und mit Draht oder dünnen Eisenstäben in eine lineare Raumzeichnung verwandelt werden. Pappmaschee, in das zum Teil echte Blätter eingearbeitet sind, oder rostige Bleche füllen die Flächen, so dass wiederum sehr anmutige Figurationen entstehen. Koloristisch bewegen sich diese Botanikels zwischen Weiß und Dunkel sowie den rostigen Tönen Rot, Braun, Orange – eine sehr archaische Farbpalette. Alle Objekte wirken gealtert und verwittert, manchmal auch verwelkt und morbide. Doch sie sind schön und beweisen, wie man aus ganz ärmlichen Materialien im Sinne der Arte povera Kunst machen kann. Das gilt auch für viele andere Ideen, die Dorothea Kirsch in den letzten Jahren entwickelt hat, wobei ihre kinetischen Objekte (Kinetikels) hervorzuheben wären. Das sind bizarre Maschinen aus Fundstücken wie zum Beispiel einem alten Plattenspieler, der in ein surreales Karussell umgebaut wird. Kunst kann zaubern.

Kalle Paltzer hat in der Eifel eine Töpferlehre absolvert, ehe es ihn nach Köln zog. Er ist ein echter Tausendsassa, Musiker, Schauspieler, Illustrator, Grafiker und seit den 1990er Jahren bildender Künstler. Papier ist dabei sein Ausgangsmaterial, das er seit vielen Jahren auf den Straßen und Spazierwegen sammelt. Diese oft achtlos weggeworfenen Fetzen werden in sein Archiv aufgenommen , um dort auf ihr ästhetisches Recycling zu warten. Meist wird zunächst mit Pappe ein Grundgerüst gebaut, auf dass dann Pappmaschee (Pulpe) mit einem selbst entwickelten Spezialleim aufgetragen oder Papier in zahlreichen Lagen aufkaschiert wird. Beim Trocknungsprozess zieht sich das nasse Papier zusammen, lässt das darunterliegende Gerüst plastisch hervortreten und verformt schließlich die ganze Papierplastik in konkave oder konvexe Formen, ein Vorgang, den der Künstler mit Gewichten geschickt zu steuern weiß. Zweidimensionales Papier wird also in einen dreidimensionalen Körper verwandelt, den man auch als Reliefs bezeichnen könnte, der als hängendes Wandobjekt seinen Platz als Kunstwerk findet. Kalle Paltzer gelingen so echte Metamorphosen. Das industriell hergestellte Papier wird jeweils in einen elementaren Urund weichen Aggregatzustand verwandelt, so dass es neu geformt werden kann. Wie bei echtem Recyclingpapier entsteht etwas Neues aus etwas Alten, das sich freilich ganz von der industriellen Perfektion löst und dem Papier seine organische und vegetabile Natur wieder zurück gibt. Der Leim und farbige Reste im Papier selbst reagieren miteinander und erzeugen eine eigene zarte Farbigkeit. Bisweilen forciert der Künstler dieses Kolorit durch zugesetzte Pigmente. Licht und Schatten spielen über die Oberflächen, die – je nach Betrachtungswinkel – immer neue Strukturen offenbaren. Dabei können sich Assoziationen an Pergament, Haut und Adern, Rippen und knochenähnliche Strukturen einstellen. Man kann auch an verputzte Wände oder Steine denken, die bei Kalle Paltzer freilich nur eine optische Schwere und Massivität suggerieren. Und je länger man schaut, desto faszinierender wird dieses Trompe- l’oeil und die Kunst des Kalle Paltzer „mit dem Auge zu fühlen“.

Dr. Dietmar Schuth