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Markus Oeffinger

SUPERHERO – 26.05. – 15.06. 2013 –

Katalogtext:

Ursprünglich waren Helden einfach nur freie Menschen, die sich im Sozialgefüge des Mittelalters von den Unfreien abgrenzten. Die Bauern versorgten sie mit allem Lebensnotwendigen und genossen im Gegenzug den Schutz der waffentragenden Helden, die man auch Ritter nannte. Schon in der Literatur der damaligen Zeit wurden diese Ritterhelden in gewaltigen und gewalttätigen Epen verherrlicht, in denen sich sagenhafte Stoffe mit einer dichterisch stilisierten Realität verwoben. Ritterlichkeit und Heldentum wurden pauschal zu moralischen Tugenden erhoben, die sich mit der Wiederentdeckung des Mittelalters im Zeitalter der Romantik vor allem in der Kinder- und Jugendliteratur neu belebten. Noch heute sind Wörter wie Held bzw. Ritter ehrenvolle Titel, die ganz vergessen machen, dass jene freien Männer im wirklichen Leben wohl eher grausame Bauernschinder, kriegerische Mordgesellen und brutale Frauenschänder waren.

In der angelsächsischen Literatur etablierte sich im 18. Jahrhundert der Begriff des „hero“ als Bezeichnung für die Hauptperson einer Dichtung, so wie einst ein Aeneas oder Artus bis hin zu einem Tristan, Tannhäuser oder Parzival die alleinigen Hauptfiguren eines Epos oder Roman darstellten. Im deutschen Sprachgebrauch bedeutet „Held“ ebenfalls die Hauptfigur, auch wenn diese nicht unbedingt heroisch geschildert wird, wie zum Beispiel ein ‚Simplizissimus‘ oder ein ‚Eulenspiegel‘ bis hin zu den eher gebrochenen Charakteren der modernen Literatur. Vielleicht liegt in dieser kritischen Aushöhlung des Begriffs die Ursache dafür, dass man im angelsächsischen Sprachgebrauch den ‚Superhero‘ als Wort prägte, um die ursprüngliche Bedeutung wieder herzustellen. Dies gilt vor allem für die triviale Welt der Comics und Computerspiele, die alle sozialen Errungenschaften der Neuzeit vergessen haben und erneut ein archaisches und martialisches Männerbild feiern.

Markus Oeffinger hat sich für unsere Ausstellung im Kunstverein Worms also einen beziehungsreichen Titel ausgesucht. Schließlich sind in der Nibelungenstadt Worms bis heute zahlreiche Helden lebendig wie Siegfried, Hagen und natürlich auch Kriemhild. Seine eigenen, von ihm gemalten Söhne lieben scheinbar ‚Supermario‘ oder versetzen sich in ihren Computerspielen gerne in die Helden der Starwars-Triologie. Doch was interessiert einen Maler und Musiker wie Markus Oeffinger heute im 21. Jahrhundert an diesem Thema? Sorgt er sich, dass seine Söhne falsche Helden bewundern? Oder sieht er sich selbst als Superhero, denn seine Bilder erzählen fast ausschließlich von sich und seiner ganz individuellen Welterfahrung? Oder möchte er gerne ein Superman sein, der mit übernatürlichen Kräften Wunder vollbringt und mithilfe seiner Malerei überwirkliche Phantasien erobert? Ist er ein Narziss oder lässt er auch andere Superhelden gelten? Oder ist er einfach nur ein ‚hero‘ im literarischen Sinne, ein Mensch und Künstler, um den sich alles dreht?

Rhetorische Fragen muss man zum Glück nicht unbedingt beantworten. Künstler dürfen egozentrisch sein, ja sie müssen und sollen dies sogar. Man erwartet von ihnen eine nahezu heroische Individualität, denn nur hier vermutet man die Quelle für kreative Innovationen, die von der Kunstkritik und dem Kunstmarkt immer wieder verlangt werden. Schaut man zum Beispiel nach Leipzig, zeigt sich, dass heute viele international erfolgreiche Künstler das eigene Leben als Kosmos begreifen und diesen zwischen Realismus und fiktiver Phantasie romanhaft reflektieren.

Das erste Bild in diesem Katalog „Guter Abend“ von 2012 erscheint in diesem Sinne fast programmatisch. Wir sehen ein Selbstporträt des Künstlers, der in einem grünen Inkarnat erscheint, das ihn – realistisch betrachtet – in eine Art Abendlicht rückt. Das Grün lässt sich aber auch als befremdliche Fleischfarbe sehen, so dass man als moderner Mensch zum Beispiel an ‚Hulk‘ denken könnte, an einen jener amerikanischen Comicfiguren, das in einem überwirklichen Monstergrün erscheint wie im alten Abendland einst die gefürchteten Drachen. Als alter Europäer erinnert man sich darüber hinaus an das Inkarnat göttlicher Figuren in der byzantinischen Ikonenmalerei, wo Grün die göttliche und nichtmenschliche Natur der Figuren zum Ausdruck bringt.

Halb Gott, halb Monster scheint der Künstler in seinem Bild „Guter Abend“ ohne festen Boden und echten Bezugspunkt frei im Raum zu schweben. Der Hintergrund des Bildes ist wie bei einer Ikone nicht als realer Raum definiert. Einige Pinselstriche erscheinen stattdessen wie Zeitspuren, die den Bildraum in eine vierte Dimension führen. Der Künstler fällt durch Raum und Zeit. Allein das Knäuel aus purpurfarbenen Pinselstrichen scheint ihm Halt zu versprechen. Es wird zum Emblem stilisiert und zu einer Art Allegorie auf die Malerei schlechthin. Es erscheint fast wie die Taube bei der Verkündigung an Maria als überwirkliche Theophanie. Mit großer Geste öffnet sich der Held dieses Bildes jenem Symbol und erfährt so eine Art Verkündigung: Der Künstler selbst wird zum Engel Gabriel, der sich seiner Malerei selbst als Thema verkündigt, wie auch umgekehrt die Malerei als Engel ins Bild tritt, um den Künstler wie Maria mit einem Geist zu erfüllen.

Alle Bilder des Markus Oeffinger verdienen eine ausführliche Betrachtung und inspirieren zu einer hermeneutischen Analyse. Denn die meisten seiner Bilder präsentieren sich formal als eine figurative Malerei, die jedoch immer wieder den sicheren Boden der Realität verlässt und sich einer eher surrealen und symbolistischen Welt öffnet, die nach einer rationalen Traumdeutung ruft. Hinzu kommen abstrakte, rein malerische Elemente, die sich ohne erkennbaren Sinnzusammenhang in die realen oder surrealen Szenen einbinden. Häufig malt Markus Oeffinger sogar ganz abstrakte Bilder, die nichts erzählen wollen, wo die Farbe selbst in ihrer meist expressiven Schönheit zum Superhero avanciert.

Wiederum sehr programmatisch wirkt hier das zweite Bild in diesem Katalog „Molekül“ von 2013. Zu sehen ist ein mehr oder weniger einfacher Pinselstrich, der sich dem Bildtitel zufolge, als ein Baustein versteht. Typisch für die Malweise des Markus Oeffinger ist der polychrome Strich, wie ihn schon ein Karl Otto Goetz im Informell der 1950er Jahre oder später sein Schüler Gerhard Richter kultivierten. Es ist ein eigentlich unsauberer Farbstrich, der aber durch seine Schraffur plastisch anmutet. Bei dem Bild „Molekül“ bekommt dieser fast körperlich anmutende Strich sogar etwas wie einen Kopf mit Auge. Das Molekül wird zum Sperma. Farbe befruchtet, könnte man nun interpretieren.

Ein Höhepunkt der freien Farbe als freies (heldenhaftes) Individuum im Werk von Markus Oeffinger ist sicherlich die Installation „Archiv“ von 2012. Hier ist der polychrome Strich auf PVC-Streifen gemalt. Die ohnehin schon plastisch anmutenden Pinselschwünge werden als zu einem dreidimensionalen Farbenknäuel inszeniert. Die Fotos dieser Arbeit erinnern an informelle Gemälde jenes Altmeisters Goetz wie sie seit Jahrzehnten in den Museen hängen. Doch bei Oeffinger liegt das Kunstwerk auf dem Boden, ein bisschen wie der Abfall eines Raumgestalters oder wie ein Haufen geplatzter Autoreifen. Das Material PVC ist eben nicht edel, doch gerade das reizt den Künstler, die fast alchemistische Transformation von Material wie eine Wandlung von Blei in Gold.

Viele andere Werke dieser Ausstellung zeigen solch transformiertes Wegwerfmaterial als Teil einer Arte povera, die mithilfe von Farbe und der kreativen Gedankenarbeit selbst billige banale Styroporverpackungen und dergleichen in faszinierende Kunstobjekte verwandelt. Hier gelingt eine Art Wertschöpfung, wie Ökonomen sagen würden, eine Ästhetisierung unserer meist sehr unkreativen Konsumkultur. Zu diesem Konzept gehört auch die Arbeit „Fixa“, wo eine simple Transportverpackung für einen Werkzeugkoffer als Objet trouvét mit rotem Punkt an der Wand ausgestellt wird. Daneben hängt das Gemälde als Pendant: Die Wand ist hier in ein nebulöses, koloristisch sehr reizvolles Farbenspiel aufgelöst, und das Objekt selbst erscheint wie ein Bildschirm an der Wand, als ein geheimnisvolles Display in eine andere Dimension, wo rote Punkte plötzlich fliegen können.

Markus Oeffinger durchdringt seine und unsere Alltagskultur mit seiner Phantasie, die zu einer oft sehr überraschenden Ästhetisierung generiert und den leblosen Dingen neues Leben verleiht. Darin offenbart sich nicht nur der kreative Zugriff eines Künstlers, sondern auch die Kritik eines Zeitgenossen an unsere Wegwerfkultur und so oberflächlichen Wahrnehmung von Welt. Ähnliche Gedanken mögen bei dem Bild „Steak“ eine Rolle spielen. Selbst ein Vegetarier serviert Oeffinger das Stück Fleisch auf Konfetti, so als sei dieses Lebensmittel, wofür immerhin ein Lebewesen sterben musste, auch nur ein trivialer Wegwerfartikel mit limitiertem Spaßfaktor. In dem Bild „Bestäuber“ erscheint das Konfetti-Motiv erneut. Hier legt es sich als malerischer Pointilismus über eine kindliche Menschenfigur, die irgendeinen sinnlosen Spaß ausübt, und so selbst zu einem überflüssigen Wegwerfartikel wird.

Der Mensch in der Bildwelt des Markus Oeffinger erscheint also nicht unbedingt heldenhaft. Im Gegenteil, Oeffinger schildert den zeitgenössischen Menschen eher als einen Unfreien, als einfachen Lehensmann einer kapitalistischen Unkultur. Er sorgt sich als Mensch wie auch als Künstler um unsere Kultur und die Zukunft seiner und aller Kinder. Nur selten finden sich in dieser Welt echte Helden wie zum Beispiel einer der Gründer des Apple-Imperiums Steve Jobs. Er gilt als Pionier unserer modernen Computerwelt und ist der Superhero eines amerikanischen Weltbildes. Doch sein Erfolg und sein Reichtum haben seinen frühen Tod nicht verhindern können. Markus Oeffinger zitiert ihn mit dem Satz: „Ich würde all meine Technologie für einen Nachmittag mit Sokrates hergeben.“ Wie eine Ikone inszeniert der Maler das Porträt auf echtem Blattgold auf echtem PVC als einen Helden des alten Europa.

Dr. Dietmar Schuth